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12. Januar 2016
© Hanna Hänel

Fleisch macht Krebs - wie risikokompetent sind Sie und wie hoch ist das Risiko nun wirklich?

International Agency for Research on Cancer (2015) – Carcinogenicity of Consumption of Red and Processed Meat

Sind Sie risikokompetent? Ein kleiner Selbstversuch (mit fiktiven Zahlen!):

Sie haben eine neue Nachricht in Ihrem Spam-Ordner! Sie wissen, dass Ihr System tatsächlichen Spam zu 99,99% korrekt erkennt und entsprechend in den Spamordner verschiebt. Außerdem wissen Sie, dass fälschlicherweise 1% aller „gesunden“ Anfragen in den Spamordner verschoben wird. Des Weiteren ist Ihnen bekannt, dass es sich bei 1% aller Ihrer Email-Anfragen um tatsächlichen Spam handelt.

Wie hoch ist das Risiko, dass es sich bei der neuen Nachricht tatsächlich um Spam handelt?

Bevor Sie die Auflösung am Ende dieses Artikels ansehen, möchte ich Sie dazu ermutigen zunächst den Artikel fertig zu lesen (v.a. die Box „Risikokompetent dank Bäume“) und es noch einmal zu versuchen. Bestimmt fällt Ihnen die Antwort beim zweiten Mal leichter!

Wurst und Krebs

Wir wissen nun also: Fleischkonsum erhöht das Krebsrisiko. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, die Veröffentlichung der International Agency for Research on Cancer (IARC) sowie eine der zitierten Meta-Analysen zu lesen, um das tatsächliche Risiko mit dem abzugleichen, welches über die Medien transportiert wird. Denn: Unvollständige Informationen und das mediale Geschäft mit den Emotionen können ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen.

So passiert Mitte der Neunziger Jahre, als einige Studien zu dem Schluss kamen, dass die Antibaby-Pille der neuen Generation ein doppelt so hohes Thromboserisiko aufwies als ihre Vorgängerin: Ein 100% erhöhtes Risiko also! Schnell wurde in Großbritannien eine Warnung des zuständigen Sicherheitsausschusses an fast 200.000 Ärzte, Pharmazeuten & Co herausgegeben. Die Medien nahmen die allgemeine Panik dankbar auf und verbreiteten das Schreckensbild der tödlichen Pille. Das Ergebnis: Eine geschätzte Anzahl von 13.000 zusätzlichen Schwangerschaftsabbrüchen alleine in England und Wales sowie ein signifikanter Geburtenanstieg bei Jugendlichen. Die Ironie: Das Thromboserisiko ist in der Schwangerschaft um ein Vielfaches höher als es bei der Einnahme sämtlicher oraler Kontrazeptiva der Fall ist.

Ob Pille oder Wurst – es geht um absolute Zahlen

Der Gefahrenherd besteht in der isolierten Betrachtung des relativen Risikos. Wäre das absolute Risiko hinzugezogen worden, hätte diese Katastrophe unter Umständen verhindert werden können: Während das Thromboserisiko bei Einnahme der älteren Generation der Pille bei „nur“ 0,00008% (8 aus 100.000 Frauen) lag, stieg dieses bei Einnahme der neuen Generation auf 0,00017% (17 aus 100.000) – relativ: 100%.

Und nun also die Wurst. Im zweiseitigen Report zu den Ergebnissen des Forschungskomitees finden sich zunächst keine Informationen zu den Prävalenzen der betreffenden Krebserkrankungen in der Bevölkerung. Es wird lediglich über die relative Risikozunahme berichtet. Dazu wird aus einer Meta-Analyse von Chan und Kollegen beispielhaft berichtet:

„A meta-analysis of colorectal cancer in ten cohort studies reported a statistically significant dose–response relationship, with a 17% increased risk (95% CI 1·05–1·31) per 100 g per day of red meat and an 18% increase (95% CI 1·10–1·28) per 50 g per day of processed meat.“

Das relative Risiko (RR) für Darmkrebs steigt also durch den täglichen Verzehr von 100 Gramm roten Fleisches um 17%. Außerdem steigt das RR durch den täglichen Verzehr von 50 Gramm verarbeiteten Fleisches (Wurst) um 18%. Über die absolute Risikozunahme wird auch in der Originalquelle kein Wort verloren.

Für Sie nachgerechnet – eine Wursträdchenrechnung

Aber wie wahrscheinlich ist es jetzt für uns, aufgrund eines saftigen Steaks oder der geliebten Currywurst zu erkranken? Ich habe einmal nach Prävalenzzahlen Ausschau gehalten: Die 10-Jahres-Prävalenz – also die Wahrscheinlichkeit unabhängig des Alters und Geschlechts innerhalb von 10 Jahren an Darmkrebs zu erkranken – liegt hierzulande bei 0,4% (Quelle: www.gbe-bund.de; Stand 2004).

Laut Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie hatten wir in Deutschland im Jahre 2014 einen Pro-Kopf-Konsum von rotem Fleisch (Rind-, Kalbs-, Schweine-, Schafs-, Ziegen- und Pferdefleisch) von 47,6 Kilogramm. In dieser Zahl steckt verarbeitetes Fleisch (Wurst) bereits mit drin. Gleichzeitig liegt laut Statista der Anteil der Vegetarier und Veganer in Deutschland bei 9% (Stand 2012). Das bedeutet, dass sich die 47,6 Kilogramm Fleischverzehr auf nur 91% der Bevölkerung verteilen. Damit liegt der Pro-Kopf-Verzehr der tatsächlichen Fleischesser in Deutschland bei ca. 52 Kilogramm. Ein Omnivore (=Allesfresser!) in Deutschland isst damit im Schnitt ca. 130 Gramm (unverarbeitetes und verarbeitetes) rotes Fleisch am Tag.

Risikokompetent dank Bäume

Mit natürlichen Zahlen lässt sich wesentlich leichter rechnen als mit bedingten Wahrscheinlichkeiten (Prozent). Deshalb hilft es bei der Bestimmung von Risiken, Baumdiagrame zu malen.

Bleiben wir dazu beim Beispiel Darmkrebs: Wir wissen, die Prävalenz liegt bei 0,4%. Im Falle einer Darmspiegelung wird Darmkrebs zu 70% gefunden (Richtig-Positiv-Rate). Die Richtig-Negativ-Rate, also die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer gesunden Person auch tatsächlich kein Darmkrebs diagnostiziert wird, liegt bei 90%.

Wenn wir herausfinden wollen, wie zuverlässig ein positives oder negatives Testergebnis ist, benötigen wir alle drei Werte. Wir können diese dann in ein Baumdiagramm mit natürlichen Häufigkeiten überführen:

Baumdiagramm

Jetzt können mit diesen Werten der positive und negative Vorhersagewert bestimmt werden:

P(Darmkrebs|pos. Wert) = 28 / (28 + 9.996) * 100 = 0,28%

P(kein Darmkrebs|neg. Wert) = 89.964 / (12 + 89.964) * 100 = 99,99%

Von 10.000 Personen, die einen positiven Befund nach einer Darmspiegelung erhalten, haben damit 28 Person tatsächlich Darmkrebs. Die Wahrscheinlichkeit, Darmkrebs zu übersehen ist hingegen geringer: Bei 10.000 Personen mit negativem Befund ist 1 Person dabei, die eigentlich Darmkrebs hat. Zum Ausschluss einer Krebserkrankung eignet sich die Untersuchung also sehr gut, während im Falle eines positiven Befundes weitere Untersuchungen gemacht werden müssen.

Versuchen Sie damit doch nochmals das Spam-Problem zu lösen!

Das absolute Krebsrisiko des Fleischkonsums

Wir wissen nun also, dass die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten 10 Jahren an Darmkrebs zu erkranken unabhängig vom Fleischkonsum bei 0,4% liegt. Wir wissen außerdem, dass die relative Risikozunahme pro 100 Gramm roten Fleisches pro Tag bei 17% liegt. Außerdem wissen wir, dass Nicht-Vegetarier in Deutschland durchschnittlich 130 Gramm rotes Fleisch am Tag verputzen.

Ich gehe in folgender Rechnung davon aus, dass in den 0,4% Darmkrebsrisiko 91% Fleischesser, die täglich im Schnitt 130 Gramm rotes Fleisch essen sowie 9% Vegetarier stecken, die dessen 0 Gramm verzehren. Alle weiteren Risikofaktoren werden dabei ausgeklammert.

Damit liegt das absolute Risiko (AR) innerhalb der nächsten 10 Jahre an Darmkrebs zu erkranken für einen bundesdeutschen Durchschnitts-Omnivoren bei knapp 0,41% gegenüber eines AR von ca. 0,34% für einen Vegetarier. Die absolute Risikoreduktion durch den Verzicht der 130 Gramm am Tag läge damit bei weniger als 0,07%. Von 100.000 Omnivoren erkranken innerhalb von 10 Jahren also 41 an Darmkrebs, während aus 100.000 Vegetariern nur 34 erkranken.

An dieser Stelle sind alle mathematisch Versierten dazu eingeladen, mit Hilfe der recherchierten Zahlen die absolute Riskozunahme nachzurechnen, da ich im Internet auch andere Resultate fand. Diese lagen jedoch ebenso weit unterhalb von 1%.

Wenn Sie also das nächste Mal an der Fleischtheke gefragt werden, ob’s ein bisschen mehr sein darf, dann denken Sie dran: Jedes Gramm mehr am Tag bedeutet eine absolute Darmkrebsrisikozunahme von 0,0006%!

Selbstverständlich macht es trotz des eher geringen Risikos Sinn, seinen Fleischkonsum hin und wieder zu überdenken. Es gibt dazu allerdings wesentlich wichtigere Gründe als das eigene Darmkrebsrisiko.

Die ganze Rechnerei kann man sich auch sparen, indem man sich der Weisheit Winfried Kretschmanns bedient. Befragt zum Thema Krebsrisiko durch Fleischverzehr analysierte er messerscharf, dass es immer um die absoluten Zahlen geht:

„Wenn man einen Sack Kartoffeln isst, dann ist man auch tot“. – W. Kretschmann

Ob es sich bei der neuen Email im Spamordner tatsächlich um Spam handelt? 50:50.

Autor: Daniel Fodor

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