DearEmployee GmbH

Interview: Fight the Stigma! Mentale Gesundheit in der Arbeitswelt stärken

Im Gespräch sind Nele Groeger, Mitgründerin von SHITSHOW, und Charlott Hoebel von DearEmployee, der Workplace Mental Health Plattform.

Eine Agentur für psychische Gesundheit – was können sich Leser:innen darunter vorstellen?

Nele: Wir sind eine Beratungsagentur mit dem Fokus ‘mentale Gesundheit in der Arbeitswelt’. Das heißt wir unterstützen Unternehmen und Organisationen darin, Arbeit gesund zu gestalten und den richtigen Umgang mit psychisch belasteten Mitarbeiter:innen zu finden.
Dazu setzen wir an verschiedenen Ebenen im Unternehmen an. Zum Beispiel sensibilisieren wir Führungskräfte darin, psychische Belastungen bei Mitarbeiter:innen zu erkennen. Wir unterstützen Teams darin, gesünder zu kommunizieren oder motivieren auf organisationaler Ebene dazu, die Stigmatisierung psychischer Erkrankung gemeinsam zu hinterfragen und abzubauen.

Let’s talk about the obvious: Wie kommt ihr zu diesem besonderen Namen?

Nele: Unser Name steht repräsentativ für das, was wir versuchen, in der Arbeitswelt zu verändern: Dass wir uns trauen, auch über unangenehme Dinge zu sprechen. Nur dadurch, dass wir auch die vermeintlich ‘negativen’ Gefühle ansprechen, können wir Lösungen für sie finden. SHITSHOW steht dafür, dass das Leben nicht immer nur einfach ist – gerade, wenn man psychisch belastet oder erkrankt ist. Dies zu verschweigen, sorgt aber nur dafür, dass wir uns keine Unterstützung holen – und die Probleme nicht angehen. Der Name ist also gewissermaßen eine Kampfansage an toxische Positivität.

Wieso konzentriert sich SHITSHOW hauptsächlich auf die psychische Belastung in der Arbeitswelt?

Nele: Während wir gesellschaftlich schon eine Öffnung des Themas bemerken und die Stigmatisierung und Tabuisierung psychischer Erkrankungen dankenswerterweise abnehmen, ist das in der Arbeitswelt noch nicht der Fall. Das liegt unter anderem daran, dass psychische Belastungen und Erkrankungen gerade dort häufig noch mit mangelnder Leistungsfähigkeit, Faulheit oder Unzurechnungsfähigkeit assoziiert werden – obwohl sich dieser Zusammenhang nicht belegen lässt. Zudem gibt es gerade in Unternehmen häufig noch große Unsicherheiten, wie man sich dem Thema nähern und damit konstruktiv umgehen kann. Das wollen wir ändern.

Wo liegen eurer Erfahrung nach die größten Probleme im Umgang mit psychischen Erkrankungen in Unternehmen? Was war euer größtes ‘Aha-Erlebnis’ in der Zusammenarbeit mit Unternehmen?

Nele: Eines der größten Probleme ist sicherlich, dass mentale Gesundheit oftmals noch als ein Einzelproblem angesehen wird, weniger als ein Thema, das für alle wichtig und interessant ist. Das führt in der Praxis häufig dazu, dass es vielleicht sogar Unterstützungsangebote für Betroffene gibt. Diese werden aber entweder nicht wahrgenommen (aufgrund der Stigmatisierung) oder aber als ‘quick fix’ für eine insgesamt gesundheitsgefährdende Arbeitskultur angesehen. Arbeit gesundheitsförderlich zu gestalten bedeutet aber nicht nur ‘Support in der Krise’. Sondern, zum Beispiel, Möglichkeiten zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung, ein bewältigbarer Workload und klare Regelungen für die Erreichbarkeit.

Zum Mental Health Day habt ihr die Themenwoche ‘How to start a conversation at work’ mit verschiedenen Gästen organisiert. Habt ihr eine Antwort auf diese Frage gefunden? Gibt es überhaupt die eine Antwort für jede Organisation?

Nele: Die Frage ist natürlich sehr vielschichtig und muss, wie du auch gesagt hast, organisationsspezifisch beantwortet werden. Grundsätzlich ist es wichtig, dass das Gespräch über psychische Gesundheit und Belastungen sowohl bottom up als auch top down geführt wird. Führungskräfte sind wichtige Kulturgestalter:innen im Unternehmen und können die Bühne dafür bereiten, dass Mitarbeiter:innen offen mit mentalen Belastungen umgehen. Für Betroffene ist es wichtig, zu wissen, dass sie durch diese Offenheit nicht gefährdet sind – und dass sie die Möglichkeiten und Risiken kennen, die damit verbunden sind.

Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung ist quasi eine staatliche Aufforderung an Unternehmen, die psychische Gesundheit von Mitarbeiter:innen zu thematisieren Wie schätzt ihr als SHITSHOW diesen Türöffner zur Platzierung des Themas in Unternehmen ein?

Nele: Die psychische Gefährdungsbeurteilung ist ein wichtiges Instrument, um die Situation in Unternehmen zu analysieren und aufzuzeigen, wo die Gefahren für die Psyche aktuell liegen. Wir finden es unfassbar wichtig, dass es dieses Instrument gibt – bemerken in unserer Arbeit aber immer auch, dass Unternehmen noch vorsichtig mit dem Tool umgehen. Manchmal wird es gerade nicht als ‘Türöffner’ gesehen, sondern als zusätzliche Last oder als ‘Büchse der Pandora’, die Probleme produziert, statt sie zu lösen. Wir finden da immer wieder wichtig, zu betonen: Die Probleme sind ohnehin da. Die PGB ist eine Chance, im Unternehmen wirklich etwas zum Positiven zu verändern. Sie muss häufig jedoch auch durch Maßnahmen begleitet werden, die die Akzeptanz im Unternehmen fördern und alle mit an Bord holen. Deshalb arbeiten wir neben quantitativen auch mit qualitativen Befragungen, um die Unternehmen wirklich zu verstehen und passgenaue Lösungen zu entwickeln.

Obstkörbe und Yogakurse hören sich besser/harmloser auf dem Maßnahmenplan an, als eine Sensibilisierung zum Thema Depression, Angst und Burnout. Warum glaubt ihr schrecken Organisationen bei dem Thema immer noch zurück? Ganz nach dem Motto, solange man nicht über Burnout redet, gibt es das bei uns auch nicht.

Nele: Nicht selten ist es eine Frage der Verantwortlichkeit: Wenn ich über bestimmte Dinge nichts weiß, muss ich mich auch nicht um sie kümmern. Das soll nicht heißen, dass man allen Unternehmen Fahrlässigkeit oder Böswilligkeit unterstellen kann – auf gar keinen Fall. Häufig ist es einfach Nichtwissen oder Unsicherheit, zum Beispiel bei der Frage, wie man Betroffenen nun konkret helfen kann oder auch ob das Adressieren von Problemen in diesem Bereich dazu führt, dass man als Arbeitgeber:in für alles verantwortlich gemacht wird. Die positiven Aspekte, sich proaktiv dem Thema zuzuwenden – größere Loyalität, Motivation und nicht zuletzt auch Imagepflege – werden dabei vergessen.

Kommen wir noch zu einem uns seit einem Jahr begleitenden Thema: Corona. Habt ihr Tipps, wie der/die Einzelne aber auch Organisationen die mentale Gesundheit während der Pandemie schützen können?

Nele: Auf individueller Ebene sind es – das hat mittlerweile ja auch fast keinen Neuigkeitswert mehr – Dinge wie die klare Trennung von Berufs- und Privatleben (durch Räume oder Zeiten) oder, gesunde Tagesstrukturen und -routinen zu etablieren. Mit dem Andauern der Pandemie kommt für viele Menschen, das merken wir mittlerweile verstärkt, hinzu, dass sie unter der ewigen Routine und dem immer Gleichen leiden – die Tage verschwimmen, nichts hat mehr Erinnerungswert. Bewusst zu überlegen, wie man sich schöne und erinnerungswürdige Momente auch in diesen Zeiten schaffen kann, kann da helfen, einen Ausgleich zu schaffen. Organisationen sollten gerade jetzt mehr Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung ermöglichen, weil die Doppelbelastung für viele gerade im Homeoffice schwierig ist. Auch regelmäßige Check-Ins können helfen, mit seinen Mitarbeiter:innen in Verbindung zu bleiben und zu signalisieren: Mir ist es wichtig, wie es euch geht.

Keyword Isolation. Die Daten von DearEmployee zeigen, dass Mitarbeiter:innen im Moment gerade der informelle Austausch fehlt. Diese Isolation hat negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. Ihr seid unter anderem. mit eurem Angebot ‘Lonely? Not remotely!’ auf unserem Marktplatz vertreten. Wie wollt ihr mit diesem Angebot Mitarbeiter:innen unterstützen?

Nele: ‘Lonely? Not remotely!’ ist ein kurzes Training, in dem wir erste Strategien gegen Einsamkeitsgefühle vermitteln und dabei helfen, die eigene Situation besser zu verstehen. Es geht uns im Training aber auch, Einsamkeit besser zu verstehen und vor allem das Stigma aufzuweichen, das mit diesem Gefühl assoziiert ist: Häufig trauen sich Betroffene gar nicht, darüber zu sprechen und Kontakt zu suchen, weil Scham- und Schuldgefühle so groß sind. Uns geht es auch darum, die eigenen Handlungsmöglichkeiten herauszuarbeiten und sich nicht mehr hilflos dem Gefühl ausgeliefert zu fühlen. Es ist auch nicht allein ein Krisenformat.

Wie sah bis jetzt das Feedback der Teilnehmer:innen zu diesem Format aus?

Nele: Viele Teilnehmenden fanden es schön, mit anderen Teilnehmenden in einem geschützten Rahmen dazu zu lernen und in den Austausch zu kommen.

Apropro remote. Die innovativen MOODSUITS® sind ein Tool, für das ihr bekannt und beliebt seid. Digital sind diese jedoch nur schwer umzusetzen. Habt ihr gute Alternativen gefunden, um eine Brücke zwischen Betroffenen und ihrem sozialen Umfeld zu schlagen? Welches eurer Formate funktionierte auf Anhieb gut remote, wo musstet ihr nachbessern? Was funktioniert womöglich besser?

Nele: Die MOODSUITS® lassen sich natürlich schwer digitalisieren, zumal es uns bei ihrem Design unter anderem auch darum ging, die häufig sehr unterschätzen körperlichen Symptome psychischer Erkrankungen vermitteln zu können. Wir haben aber in der Corona-Zeit viele andere Formate entwickelt, die wir gerade für den digitalen Raum lebendig und nahbar gestaltet haben. Uns ist es wichtig, dass wir in unseren Workshops und Trainings nicht nur Wissen vermitteln, sondern eine Erfahrung kreieren und die Teilnehmenden motivieren. In unserem Vision Talk ‘How to tackle Mental Health at Work’ arbeiten wir beispielsweise mit persönlichen Geschichten und einer spannenden Narration – so kann man auch im Digitalen Verbundenheit herstellen.

Welches Feedback von Kund:innen ist euch besonders im Gedächtnis geblieben?

Nele: In unseren Online Workshops achten wir darauf, dass die Inhalte, die wir vermitteln, zu der Gruppe passen, die mitmacht – uns ist es wichtig, die Teilnehmenden zu befähigen, Veränderungen anzustoßen. Dafür haben wir in der Vergangenheit öfter schönes Feedback bekommen. Besonders intensiv und verbindend ist aber die Arbeit mit den MOODSUITS®, da sich viele Menschen von den Objekten irgendwie angesprochen fühlen und nicht selten selbst Erfahrungen teilen. Uns freut es immer sehr, wenn Menschen über diese Erfahrung miteinander ins Gespräch kommen und uns zurückspiegeln, dass wir einen sicheren Raum dafür geschaffen haben.

Wie motiviert man Unternehmen, sich mit der mentalen Gesundheit von Beschäftigten zu befassen?

Nele: Ich denke, so wirklich motivieren kann man Unternehmen nicht – der Wille muss selbst da sein. Es geht vielmehr darum, Ängste abzubauen, zu inspirieren und darum, die Chancen zu vermitteln, die dieses Thema bereithält. Wenn man das schafft, ist man schon einen ganzen Schritt weiter. Darüber hinaus glaube ich, dass es in Zukunft auch die Mitarbeitenden sein werden, die sich mehr Unterstützung im Feld der mentalen Gesundheit wünschen. Eine Bewegung ‘von unten’ und ein entsprechendes Bewusstsein zu erzeugen, ist deshalb genauso wichtig, wie Überzeugungsarbeit bei den Unternehmen selbst zu leisten.

Was ist euer Wunsch für 2021?

Nele: In 2021 möchten wir weiter an unserer Mission arbeiten, mentale Gesundheit in Unternehmen zu stärken. Am liebsten im Rahmen von Prozessen, in denen wir gemeinsam mit Unternehmen den Problemen auf den Grund gehen und Lösungen entwickeln können.

 

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