DearEmployee GmbH

8. April 2019

Der gläserne Mitarbeiter? Überwachung im Callcenter als Stressfaktor

Von der Überwachung von Beschäftigten im Call-Center erhoffen sich Unternehmen eine Steigerung der Kundenzufriedenheit und eine Verbesserung der Arbeitsleistung. Die geführten Statistiken sind vielfältig: In sogenannten Inbound-Callcentern, die vor allem im Bereich des Kundenservices tätig sind und Anrufe von Kund*innen entgegennehmen, werden beispielsweise bearbeitete Anrufe pro Stunde, die Erfüllung vorgegebener (Verkaufs-)Ziele und die individuelle Zeit in der Warteschleife erhoben. In Outbound-Callcentern, also jenen, die aktive Kundenakquise betreiben, werden unter anderem die Netto-Kontakte pro Stunde, Erfolge pro Stunde sowie Calls pro Stunde erhoben. Aber auch die Zahl der vom Kunde oder Kundin abgebrochenen Anrufe, bevor es überhaupt zu einem Gespräch kam, wird erfasst. Diese Quantifizierung ist oft nötig, da mit den Auftraggeber*innen messbare Ziele vereinbart sind und die Wirtschaftlichkeit der Teams darstellbar gemacht werden muss.

Gute Miene zum bösen Spiel

Aber nicht nur auf quantitativer Ebene wird das Arbeitsergebnis überwacht, sondern auch auf qualitativer. Hier steht die Lösungsfindung beim Erstkontakt mit den Kund*innen im Fokus. Der Gedanke dahinter: Ein zufriedener Kunde oder Kundin wird voraussichtlich auch in Zukunft mit dem Unternehmen Geschäfte abschließen. Im Sinne der Kundenzufriedenheit ist die Gesprächsqualität und Freundlichkeit der Beschäftigten im Kundenkontakt besonders wichtig. Und so heißt es für die Beschäftigten häufig genug „gute Miene zum bösen Spiel“ zu machen. In jeder Lage, trotz Stress, übel gelaunten Kund*innen und zusätzlicher Überwachung. Das kann eine hohe psychische Belastung bedeuten. Laut Depressionsatlas der Techniker Krankenkasse zählt die „Dialogmarketing Branche“ nicht ohne Grund die meisten Arbeitsunfähigkeitstage auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Ob genaue Analyse und Überwachung der verschiedenen Parameter letztendlich zu besserer Leistung und zufriedeneren Beschäftigten führen, scheint mit Blick auf die hohe Fluktuationsrate in der Dialogmarketing-Branche daher fragwürdig.

Mithören von Gesprächen hat Vor- und Nachteile

Besondere Stresssituationen entstehen, wenn Gespräche mitgehört werden. Denn auch die Gesprächsführung unterliegt oft einer genauen Überwachung. Bereits während der Einarbeitung kommt es daher zum sogenannten offenen Mithören. Der/die Teamleiter*in verkabelt sich mittels einer Weiche mit dem Headset des/der neuen Beschäftigten. Auf diese Weise kann er/sie dem gesamten Gespräch folgen, Schlüsse zur Gesprächsführungstechnik ziehen und anschließend Verbesserungsvorschläge machen. Diese direkte Feedbackkultur kann auch positiv wirken. Die direkte Anwesenheit der Führungskraft führt allerdings oft dazu, dass sich die Beschäftigten in diesen Situationen nicht vollkommen natürlich verhalten. Außerdem ist diese Art des Mithörens personell sehr aufwendig. Daher wird vor allen Dingen das (Silent) Monitoring eingesetzt. Auch hier werden Gespräche, aber unter Einsatz von softwaregestützter Technologie mitverfolgt, um Defizite aufzuspüren. Diese Form der Überwachung lässt sich in Callcentern dabei offen oder verdeckt durchführen.

Die ständige Überwachung des Arbeitsalltags durch Vorgesetzte ist in der Callcenter-Branche weit verbreitet und das Personal in Callcentern scheint daran gewöhnt zu sein. Unabhängig von dieser Gewöhnung wird der psychische Druck, den diese Art der Qualitätskontrolle aufbaut, als besonderer Stressfaktor wahrgenommen. Der Trend, die Qualität der Arbeit immer genauer zu analysieren, wird von der sich ständig weiterentwickelnden Technik zusätzlich angefeuert. Die Methoden zur Leistungsüberprüfung werden immer vielfältiger und die erhobenen Datenmengen mit steigenden technischen Standards immer größer. Die quantitative Leistung der Callcenter-Beschäftigten unterliegt eigentlich immer einer ständigen Überwachung. Viele ehemalige Callcenter-Beschäftigte berichten von Ermahnungen, wenn bestimmte Vorgaben nicht erreicht werden und einem hohen psychischen Druck.

Neue Formen der Überwachung von Beschäftigten – Die Stimme zum Erfolg

Aber nicht nur zahlenmäßig stehen Beschäftigte unter Leistungsdruck. Denn die Kontrollen nehmen stetig an Intensität zu. In ihrem Artikel „Neue Überwachungsformen in Call-Centern“ diskutieren Eberhard Kiesche (Arbeitnehmerorientierte Beratung (AoB), Bremen) und Matthias Wilke (Datenschutz- und Technologieberatung (dtb), Kassel) „die Zulässigkeit von Stimmanalyse und „Keyword Spotting“. Bei der Stimmanalyse wird softwaregestützt in Echtzeit die Stimmung des/der Call-Center-Agent*in und des/der Kund*in zu Beginn und Ende des Gespräches analysiert. Dabei können Analysesysteme Veränderungen in der Stimme erkennen und beispielsweise nachverfolgen, wie Beschäftigte auf die jeweilige Stimmung der Kund*innen reagieren. Gleichzeit kann Software dafür eingesetzt werden, die Beschäftigten positiv zu stimulieren. Dabei zeigt man dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin besonders positive Momente (sogenannte Triggermomente), aber auch dies setzt die permanente Aufzeichnung der Gespräche voraus.

Keyword-Spotting

Das Keyword-Spotting zielt darauf ab, das Erreichen von Vorgaben zu überprüfen. Wie häufig wird beispielsweise der Name des Produkts oder des Unternehmens genannt ? Oder wie oft fällt das Wort Kündigung? Solange diese Formen des Silentmonitoring nicht dauerhaft zum Einsatz kommen und die Zustimmung der Beschäftigten und Kund*innen eingeholt wurde, können diese Überwachungsformen als erforderliche Maßnahmen im Sinne der „Durchführung der Arbeitsverhältnisse“ nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG eingestuft werden oder der Qualitätskontrolle dienen.

Aber gerade bei der Stimmanalyse und dem Keyword-Spotting wird die Überwachung häufig zum Dauerzustand, ohne dass die Callcenter-Agent*innen wissen, welches Gespräch nun mitgehört wird und welches nicht. Zudem können die Daten den jeweiligen Beschäftigten auf Grund der Stimmerkennung eindeutig zugeordnet werden und sind im Sinne des Beschäftigtendatenschutzes (§32 BDSG) als fragwürdig einzuschätzen (Kiesche und Wilke). Denn hier gilt das Recht am gesprochenen Wort, welches besagt, dass jeder Mensch eigenständig darüber bestimmen darf, ob weitere Personen der Unterhaltung folgen dürfen oder nicht. Allerdings ist die Gesetzesgrundlage § 32i BDSG sehr schwammig formuliert.

Ständige Überwachung von Beschäftigten bedeutet hohen psychischen Druck

Dabei heißt es in einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts, dass durch eine dauerhafte Kontrolle der Arbeitnehmer*innen „einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt (wird), dem er sich während seiner Tätigkeit nicht entziehen kann“ (Az. 2 AZR 51/02). Das stellt eine unzumutbare Belastung dar.

Neben rechtlichen Bedenken, steigert elektronische Überwachung am Arbeitsplatz das subjektive Stresserleben. Das kann zum Verlust der wahrgenommenen Kontrolle über die eigene Arbeit führen. Zudem ist der Handlungsspielraum der Call-Center-Agent*innen ohnehin sehr gering. Dauerhaft kann Überwachung zu einer Reduktion von Arbeitszufriedenheit, Vertrauen und letztendlich zur Kündigung oder Krankheit führen.

Das Review „zur Wirkung elektronischer Überwachung am Arbeitsplatz und Gestaltung kontextsensitiver Assistenzsysteme“ im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zeigt zwar, dass Überwachung nicht von jedem Mitarbeiter oder jeder Mitarbeiterin als gleich belastend empfunden wird. Gleichzeitig wird aber die Notwendigkeit deutlich, sich genauer mit der Wirkung elektronischer Überwachung auseinanderzusetzen und die Beschäftigten mittels psychischer Gefährdungsbeurteilung (PGB) zu ihrem Befinden zu befragen. Hier gilt es, in Erfahrung zu bringen, wie Beschäftigte mit dem Monitoring umgehen und in welchem Maße es für sie psychischen Druck bedeutet. Um gleich zu Beginn Stress zu minimieren, können eine umfassende Ankündigung und Aufklärung über geplante Monitoring-Maßnahmen das Misstrauen und somit auch den psychischen Druck senken. Auch eine partizipative Einführung von Monitoringsystemen kann negative Affekte der Überwachung abfedern.#

Autor: Henning Jakob

Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit der DEKRA.

 

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