„Deine Bluse sitzt aber eng. Da weiß man gar nicht wo man hinschauen soll.“ Die Frau lacht verunsichert und wird sich später darüber ärgern, dass sie nicht schlagfertiger auf diesen unangebrachten Kommentar des Kollegen reagiert hat. Diese Bluse wird sie nicht mehr im Büro tragen. Solche Situationen sind in vielen deutschen Unternehmen keine Seltenheit. Denn trotz der steigenden Gleichberechtigung und der #MeToo-Debatte, mangelt es in vielen Unternehmen beim Thema sexuelle Belästigung immer noch an Präventionsmaßnahmen und Beschwerdestrukturen.
Die „Studie zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz“ der Antidiskriminierungsstelle des Bundes macht auf diese Missstände aufmerksam. Neun Prozent der befragten Beschäftigten haben in den vergangenen drei Jahren am Arbeitsplatz sexuelle Belästigung erlebt. Weibliche Beschäftigte waren mehr als doppelt so häufig wie Männer davon betroffen. Die Belästigungen gehen überwiegend von Kund*innen und Patient*innen (53%), aber auch von Kolleg*innen (43%) oder Vorgesetzten (19%) aus. Ganze 82 Prozent der Betroffenen identifizierten ausschließlich oder überwiegend männliche Personen als Täter. Deutlich wird: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist ein Problem, das Personalverantwortliche angehen müssen.
Was gilt als sexuelle Belästigung?
Sexuelle Belästigung ist klar definiert. Eine sexuelle Belästigung i.S.v. § 3 Abs. 4 AGG ist gegeben, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten vorliegt, welches bezweckt oder bewirkt, dass die betroffene Person in seiner Würde verletzt ist. Die Übergriffe können also von sexistischen Witzen über belästigende Blicke und Gesten bis hin zu unerwünschten Berührungen und Entblößen vor dem Opfer reichen. Meist werden hierbei Abhängigkeitsverhältnisse ausgenutzt. Aus diesem Grunde muss sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz immer mit Bezug auf bestehende hierarchischen Positionen innerhalb von betrieblichen Strukturen betrachtet werden. Sexismus tritt vor allem dort auf, wo Frauen in der Minderheit sind. Da auch weit weniger Frauen in hierarchisch übergeordneten Positionen im Unternehmen sitzen, laufen sie auch häufiger Gefahr Opfer von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu werden.
Pflichten des Arbeitgebers
Das Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AAG) verbietet sexuelle Belästigung und gibt den Beschäftigten Rechte, sich gegen solche Belästigungen zu wehren. Gleichzeitig bestimmt das AGG aber auch eine Schutzpflicht für den Arbeitgeber. Falls er dieser Pflicht nicht nachkommt, haben Betroffene folgende Rechte:
- Leistungsverweigerungsrecht (§ 14 AGG): Betroffene können die Arbeit ohne Verlust des Gehalts einstellen.
- Anspruch auf Entschädigung und Schadensersatz (§ 15 AGG): Beispielsweise bei Arzt- oder Therapiekosten, die wegen der sexuellen Belästigung entstanden sind oder auch Schmerzensgeld.
Allgemein ist es die Pflicht des Arbeitgebers Präventionen und Maßnahmen gegen sexuelle Belästigungen zu ergreifen und eine betriebsinterne Beschwerdestelle einzurichten (§ 13 AGG). In der Studie der Antidiskriminierungsstelle gaben aber mehr als 40 Prozent der befragten Beschäftigten an, nichts von einer solchen Beschwerdestelle an ihrem Arbeitsplatz zu wissen. Zu der Frage nach vorherrschenden Präventionsmaßnahmen im Unternehmen konnten weniger als ein Drittel eine entsprechende Ansprechperson nennen. Nur neun Prozent berichteten von einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung und fünf Prozent von Schulungen zu diesem Thema. Dabei sollte der Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ein selbstverständlicher Teil des Arbeitsschutzes sein. Denn die Folgen für die psychische Gesundheit können schwerwiegend sein.
Folgen von sexueller Belästigung für die Psyche
50 Prozent der befragten Frauen gaben in der Studie an, sie hätten sich durch die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz “mittel bis sehr stark” erniedrigt und abgewertet gefühlt. Dies zeigt: Sexistische Sätze sind mehr als dumme Sprüche. Sie bleiben im Kopf hängen und beeinträchtigen das Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein im Arbeitskontext. Eine US-amerikanische Studie zeigte, dass Personen, die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erleben, häufiger Ärzt*innen, Psycholog*innen oder andere Therapeut*innen besuchen.
Doch nicht nur für das Individuum, sondern auch für den Arbeitgeber hat Sexismus am Arbeitsplatz negative Folgen. Ein sexistisches Arbeitsklima bleibt selten unbemerkt und kann wertvolle Fachkräfte abschrecken. Es verhindert, dass Betroffene ihre Fähigkeiten einbringen und führt zu einer Leistungseinschränkung. Dies kann so weit gehen, dass Opfer von Sexismus am Arbeitsplatz weniger motiviert und häufiger krank sind. Im schlimmsten Fall kündigen sie aufgrund der psychischen Belastung. Wie bei vielen Themen im Arbeitsschutz ist eine wissenschaftlich durchgeführte Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen und die Umsetzung wirksamer Maßnahmen der beste Weg die Gesundheit der Beschäftigten hier zu schützen.
Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
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Klare Unternehmenskultur
Wichtig ist, dass der Arbeitgeber im gesamten Unternehmen deutlich kommuniziert, dass sexuelle Belästigung und anderes grenzüberschreitendes Verhalten nicht toleriert werden. Dazu gehört auch der Pin-Up-Kalender in der Büroküche. Außerdem kann der Arbeitgeber betroffene Beschäftigte durch Aushänge mit Informationen auf interne oder externe Beratungsstellen aufmerksam machen.
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Führungskräfte schulen
Wie bei vielen Themen im Arbeitsschutz haben Menschen in Führungspositionen eine Schlüsselfunktion in der Präventionsarbeit. Sie fungieren sowohl als Vorbilder, als auch als konsquente Durchsetzer von Präventions- und Schutzmaßnahmen. Erst wenn die Führungsebene den Schutz vor sexueller Belästigung ernst nimmt, kann es nachhaltige Verbesserungen im Unternehmen geben. Training oder Schulungen können hier sensibilisieren und den Führungskräften die nötigen Tools zur Unterstützung mit an die Hand geben.
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Ein geregeltes Beschwerdeverfahren
Für viele Betroffene ist die Situation sehr belastend, da sie keine Ansprechpersonen im Unternehmen finden und sie negative Konsequenzen fürchten, wenn sie sich an Vorgesetzte wenden. Für Beschäftigte und Personalverantwortliche muss deshalb transparent geregelt sein, welche Schritte im Fall einer sexuellen Belästigung folgen. Die erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Konsequenzen einer sexuellen Belästigung – wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung – sollten verhältnismäßig sein. Wichtig ist es, dass es Konsequenzen für Täter*innen gibt. Dies steigert das Vertrauen in das Beschwerdeverfahren. Sprüche wie “Er/Sie soll nicht so überempfindlich sein” sind hier fehl am Platz.
Behalten Sie die psychische Gesundheit Ihrer Beschäftigten im Blick
Zur Orientierung und für weitere Informationen hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die Broschüre „Sexualisierte Belästigung am Arbeitsplatz verhindern! Ein Handlungsleitfaden für betriebliche Interessenvertretungen“ herausgegeben. Darin können sich Personalverantwortliche, Führungskräfte oder Gesundheitsmanager*innen weiter in die Thematik vertiefen. Ein nächster Schritt ist die Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung (PGB) mit Blick auf Risikofaktoren, die sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz begünstigen. Hier hilft eine extern durchgeführte psychische Gefährdungsbeurteilung, die die Anonymität der Antworten der Beschäftigten garantiert.
Autorin: Charlott Hoebel
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