Kennen Sie das auch? Silvester haben Sie sich fest vorgenommen, mehr Sport zu treiben und sich gesünder zu ernähren. Und 2 Wochen nach Neujahr müssen Sie zugeben: Ihr innerer Schweinehund hat wieder einmal gewonnen und Sie haben Ihre alten Verhaltensmuster aus dem Vorjahr ins neue Jahr mitgenommen.
Vielen Unternehmen geht es ähnlich mit der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung (PGB).
Warum scheitern betriebliche Vorsätze zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung?
Eigentlich wissen die Unternehmen in Deutschland, dass die PGB eine im Arbeitsschutzgesetz geregelte und damit rechtlich verbindliche Auflage für alle deutschen Unternehmen mit mindestens einer/m Beschäftigten ist – und darüber hinaus ein geeignetes Instrument, um arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen und somit kostspieligen Fehlzeiten vorzubeugen. Gesetzliche Pflicht und betriebliche Chance: Man könnte erwarten, dass die Mehrzahl aller Unternehmen eine PGB durchführt. Die betriebliche Realität sieht jedoch anders aus.
Zur Anzahl durchgeführter Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastung in deutschen Unternehmen liegen zwar kaum verlässliche Daten vor, nach Schätzungen erfassen jedoch erst ca. 30 Prozent der Unternehmen mögliche arbeitsbedingte Ursachen für Stress und Überforderung durch eine psychische Gefährdungsbeurteilung. Besonders interessant: Zwar geben in einer Studie 31% der befragten Führungskräfte an, dass sie eine PGB geplant, diese aber noch nicht konkret terminiert haben. Was also sind die Hürden?
Die Hürden für eine Erhebung von arbeitsbedingter psychischer Belastung sind so vielfältig, wie die betrieblichen Gegebenheiten bei den Unternehmen vor Ort. Eine europaweite Befragung der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ergab: An den finanziellen Mitteln für Themen des Gesundheitsschutzes scheint es nur bei einer Minderheit (8.8.%) der befragten Unternehmen in Deutschland zu liegen.
Als Haupthindernisse für die Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung wurden u.a. genannt:
- mangelnde Informationen dazu, wie psychosoziale Risiken in Gefährdungsbeurteilungen zu berücksichtigen sind (52.9%)
- die Komplexität der gesetzlichen Auflagen (39.2%*)
- mangelndes Bewusstsein seitens des Personals (26.4%), bzw. seitens der Geschäftsleitung (15.3%)
- Verwaltungsaufwand (23.7%*); Zeit- und Personalmangel: (23.6*)
- mangelndes Fachwissen bzw. mangelnde fachliche Unterstützung (20.8%)
*Diese Angabe bezieht sich auf Schwierigkeiten im Umgang mit Themen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes allgemein, nicht spezifisch auf Themen der psychischen Gesundheit.
Was also tun, um den betrieblichen Schweinehund zu zähmen?
Tipp 1: Extern verfügbare Informationen und Fachwissen nutzen.
Was versteht man unter psychischen Belastungen, und wie misst man sie? Was beinhaltet eigentlich die Mitarbeitergesundheit?Viele Gesundheits- oder Sicherheitsbeauftragte im Unternehmen haben einen technischen Hintergrund. Somit sind dies für viele Unternehmen nicht leicht zu beantwortende Fragen. Seit der Novellierung des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG §5), existiert eine Fülle an frei verfügbaren Informationen zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen mit dem Schwerpunkt psychischer Gefährdung. So sind für alle Unternehmen, die gerne mithilfe von Leitfäden die internen Ressourcen für die PGB nutzen wollen, die Berufsgenossenschaften und die gesetzlichen Unfallversicherungen, sowie die staatlichen Fachstellen (z.B. BAuA) und Fach-Initiativen (z.B. INQA) hilfreiche erste Ansprechpartner.
Oft sind es jedoch gerade die individuellen Fragen des Unternehmens, an denen eine PGB scheitert: Passt ein einheitliches PGB-Konzept auf jeden unserer Standorte? Und wie detailliert müssen Tätigkeitsbereiche differenziert werden? Externe Dienstleister können den Vorteil haben, neben Beratungs- und Umsetzungswissen auch über umfangreiche Erfahrungswerte zu verfügen. Oft können so Fragen zum Prozess der PGB und den eingesetzten Verfahren zur Datenerhebung in der Beratung oder in Seminaren individuell und kostengünstig geklärt werden. Im Vergleich zu anderen EU-Ländern, nutzen deutsche Unternehmen bisher deutlich seltener externe Ressourcen für die Umsetzung von Gefährdungsbeurteilungen, aber Angebot und Nachfrage steigen. Die o.g. Leitfäden können hier hilfreiche Tipps zur Auswahl geeigneter Dienstleister bieten, z.B. eine wissenschaftliche Herangehensweise, die fachliche Ausbildung der Expert*innen und hohe Ansprüche an Datensicherheit.
Tipp 2: Bewusstsein steigern mit Fakten.
In der Psychologie spricht man vom optimistischen Fehlschluss, wenn ein Mensch ohne objektive Gründe davon ausgeht, weniger als andere von einem Problem betroffen zu sein. Dieses alltägliche Phänomen lässt sich auch auf Unternehmen übertragen: Oft ist die betriebliche Wahrnehmung von arbeitsbedingten Stressoren und ihren gesundheitlichen Risiken gering ausgeprägt, denn im Vergleich zu anderen Unternehmen scheint man ja weniger Überstunden zu verlangen und zugleich ein größere Auswahl an Angeboten zur Gesundheitsförderung zu haben.
Um das Problembewusstsein zu fördern lohnt es sich, Daten aus anderen unternehmensinternen Quellen (z.B. Befragungen, Personaldaten etc.) zu konsolidieren und damit einen ersten, objektiveren Eindruck vom Gesundheitszustand des Unternehmens zu erhalten. Auch Daten zum Return on Investment von Maßnahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (ROI; nach konservativer Schätzung 1 : 2,7) können wichtige Überzeugungsarbeit leisten. Wenn alle Stakeholder sich über die gesetzliche Pflicht und ihre betrieblichen Chancen bewusst sind, ist schon ein großer Schritt zu einer erfolgreichen PGB erreicht. In diesem Sinne: erst die Daten, dann die Taten.
Tipp 3: Aufwand reduzieren und überschaubar gestalten.
Wer kennt sie nicht: lange Papier-Fragebögen zur Mitarbeiterbefragung, schwer verständlich und mit hohem Zeitaufwand verbunden. Und bis die Auswertung da ist, hat die nächste Restrukturierung schon wieder alle Ergebnisse unbrauchbar gemacht. Das muss nicht sein. Mit digitalen Ansätzen lässt sich die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung schneller und einfacher planen und umsetzen. Zeitliche Ressourcen können beispielsweise auf Seiten der Verantwortlichen durch standardisierte Vorgehensweisen und auf Mitarbeiterebene durch adaptive Lösungen (z.B. bei Befragungen) gespart werden. Personelle Ressourcen werden weniger beansprucht, wenn beispielsweise verschiedene Teilprozesse automatisiert werden (z.B. Auswertungen, Reports, Dokumentation). Der Aufwand kann so für die Belegschaft um bis zu 40 Prozent reduziert werden (eigene Daten). Noch überschaubarer wird der Aufwand, wenn Sie zunächst mit einem Pilotprojekt starten: Wollten Sie nicht sowieso zuerst im Team X anfangen?
Das Wichtigste: Fangen Sie jetzt an.
Die Motivationspsychologie lehrt uns: Wir setzen unsere Vorsätze v.a. dann um, wenn wir sie konkret geplant haben (eigene Veröffentlichungen zum Thema). Deshalb planen Sie am besten jetzt die ersten Schritte: Welche Fragen stellen sich Ihnen noch zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung in Ihrem Unternehmen? Wer wäre Ihr Ansprechpartner dafür? Laden Sie ihn oder sie am besten direkt zu einem ersten Termin zur Vorbesprechung ein. Damit Sie im Februar schon das erste Häkchen auf Ihrer To-Do-Liste machen können. Denn seit August 2020 ist die neue verbindliche Arbeitsschutzregel der Arbeitsschutzausschüsse beim BMAS, die gemeinsam mit der BAuA erstellt wurde, in Kraft. Darin wird hervorgehoben, dass die aufgrund der Corona-Pandemie möglicherweise eintretenden zusätzlichen psychischen Belastungen stärker beachtet werden sollten.
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Sie wollen das Thema PGB endlich angehen und wissen noch nicht genau wie Sie es anpacken sollen?
Wir haben Ihnen einen Leitfaden zusammengestellt, wie sie ganz konkret die PGB einfach und flexibel umsetzen können.
Abkürzungen:
INQA: Initiative Neue Qualität der Arbeit;
BAuA: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
BMAS: Bundesarbeitsministerium
PGB: Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung
Referenzen:
EU-OSHA (2014): ESENER 2- Europäische Unternehmensumfrage über neue und aufkommende Risiken. URL: https://osha.europa.eu/en/surveys-and-statistics-osh/esener/2014.
Hans Böckler-Stiftung (2016). Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. Aus: Reihe „Praxiswissen Betriebsvereinbarungen“. Düsseldorf: Hans Böckler-Stiftung. URL: https://www.boeckler.de/pdf/p_study_hbs_mbf_bvd_337.pdf.
Hapkemeyer, J., Zimathies, L., & Scheibner, N. (2016). Gefährdungsbarometer-Studie 2016. EO Institut: Berlin. URL: http://neu.eo-institut.de/wp-content/uploads/2017/03/EOI_GB_Studie_2017_Bericht.pdf.
Initiative Arbeit und Gesundheit (2003). IGA-Report 3: Gesundheitlicher und ökonomischer Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention – Zusammenstellung der wissenschaftlichen Evidenz. URL: http://www.gesundheitsfoerdernde-hochschulen.de/Inhalte/G_Themen/G2_BGF/IGA_2003_Nutzen_BGF.pdf.
Autorin: Dr. Amelie Wiedemann